Interdisziplinäres Vorgehen planen
27.08.2025
Der Leitfaden für Promovierende
Interdisziplinäre Forschung ist mehr als das bloße Nebeneinander verschiedener Fachrichtungen. Sie entsteht dort, wo die Grenzen zwischen Disziplinen verschwimmen und neue Erkenntnisse gerade durch die Verbindung unterschiedlicher Perspektiven entstehen.
Dieser Leitfaden zeigt dir, worauf du bei der Planung Ihres interdisziplinären Promotionsprojekts achten solltest.

1. Die besondere Herausforderung interdisziplinärer Forschung
Wenn du interdisziplinär forschen möchtest, bewegst du dich oft auf unbekanntem Terrain. Du verbindest Methoden, Theorien und Denkweisen verschiedener Fachrichtungen – und das bringt besondere Herausforderungen mit sich.
Du musst dich in unterschiedliche Fachsprachen einarbeiten, verschiedene methodische Ansätze verstehen und manchmal auch zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Kulturen vermitteln.
2. Deine Forschungsfrage interdisziplinär entwickeln
Eine gute interdisziplinäre Forschungsfrage entsteht meist dort, wo einzelne Disziplinen an ihre Grenzen stoßen.
Zum Beispiel:
- Wenn du die Akzeptanz neuer Technologien untersuchen willst, brauchst du sowohl ingenieurwissenschaftliches Verständnis als auch sozialwissenschaftliche Methoden.
- Wenn du erforschen willst, wie literarische Texte algorithmisch analysiert werden können, verbindest du geisteswissenschaftliche Expertise mit informatischen Methoden.
- Wenn du Geschäftsmodelle für nachhaltige Technologien entwickeln willst, bringst du wirtschaftswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Perspektiven zusammen.
Welche Frage wirst du voraussichtlich interdisziplinär stellen und beantworten wollen?
3. Die richtige Uni und passende Betreuungskonstellation finden
Die Universität sollte entweder fachbereichsübergreifend oder sogar ohne Fachbereiche / Fakultäten lehren und forschen.
Sobald du nämlich auf ein Fachgebiet festgenagelt bist, können dort nur Forschungsziele erarbeitet werden, die mit den Methoden des Fachs realisierbar sind! Das ist typisch für die Universitäten und deren Promotionsmöglichkeiten in Deutschland.
Tipp: Suche nach einer Uni, bei der das Promotionsrecht nicht einzelnen Fakultäten gegeben ist, sondern der Universität selbst! Dies ist z. B. in den Niederlanden und in vielen anderen Ländern der Welt der Fall.
Für ein interdisziplinäres Promotionsprojekt brauchst du mindestens zwei, möglicherweise auch mehrere Betreuer aus unterschiedlichen Fachrichtungen. Achte darauf, dass diese Personen eigene Erfahrung mit interdisziplinärer Forschung haben und offen für fachübergreifende Ansätze sind.
Kläre frühzeitig,
- wie die Zusammenarbeit zwischen den Betreuern gestaltet wird,
- welche Promotionsordnung gilt, und
- wie mit unterschiedlichen Publikationskulturen umgegangen wird.
Oft entstehen die spannendsten Erkenntnisse genau dort, wo verschiedene Fachgebiete zu einer gemeinsamen Lösung beitragen.
4. Methodische Herausforderungen meistern
In der interdisziplinären Forschung gilt es oft, verschiedene methodische Ansätze sinnvoll zu kombinieren.
Dabei ist es wichtig, dass du
- die epistemologischen Grundannahmen der verschiedenen Methoden verstehst,
- mögliche Widersprüche zwischen verschiedenen methodischen Ansätzen erkennst und reflektierst, und
- eine kohärente Methodologie entwickelst, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.
Welche Methoden du genau benötigen wirst, lässt sich erst nach Eingrenzung der Problemstellung, Zielsetzung und Forschungsfrage klären. Wichtig ist, dass du mit Methoden deines ursprünglichen Fachgebiets vertraut bist, denn dort liegen in der Regel dein Start- und dein Zielpunkt – die weitere(n) Methoden(n) kannst du dann mit den Experten der anderen beteiligten Fachbereiche in den Blick nehmen.
5. Zeit- und Ressourcenplanung für interdisziplinäre Projekte
Plane für ein interdisziplinäres Promotionsprojekt mehr Zeit und Ressourcen ein als für eine monodisziplinäre Arbeit.
Du brauchst nämlich zusätzliche Zeit für
- die Einarbeitung in verschiedene Fachgebiete und ihre Fachsprachen,
- die Entwicklung einer integrativen methodischen Herangehensweise,
- die Kommunikation zwischen verschiedenen Betreuern und Fachkulturen, und
- das Schreiben der Dissertation, das für unterschiedliche Zielgruppen verständlich sein muss: deine Betreuer, die Promotionskommission, die Opponenten bei der Verteidigung deiner Arbeit.
Denke dabei auch an die Ressourcen, die du benötigen wirst:
- Wer kann dich bei deinem Projekt unterstützen?
- Welche Ausstattung brauchst du?
- Entstehen Kosten für Reisen oder Equipment?
- Und vor allem: wie viel Zeit kannst du selbst investieren?
Erfahrungsgemäß ist es sinnvoll, ja sogar notwendig, sich fachliche Expertise auch über die zugewiesenen Betreuer hinaus zu suchen. Denn es ist nicht Aufgabe von Betreuern bei Promotionsverfahren, dir Methoden und Inhalte beizubringen, sondern nur darauf zu achten, dass du sie sachgemäß und zielgerecht in deine Untersuchung einbringst!
6. Integration verschiedener Forschungskulturen
Jede Disziplin hat ihre eigene Forschungskultur. In den Geisteswissenschaften ist oft das eigenständige Arbeiten an einer Monographie üblich, während in den Naturwissenschaften die kumulative Promotion in einem Forschungsteam der Standard ist. In den Wirtschaftswissenschaften liegt der Fokus häufig auf peer-reviewed Journal-Artikeln.
Als interdisziplinär Forschender musst du einen Weg finden, diese verschiedenen Kulturen zu vereinen!
Das betrifft
- die Form der Dissertation (Monographie vs. kumulative Promotion),
- die Art der Veröffentlichungen,
- die Arbeitsweise (Einzelarbeit vs. Teamarbeit), und
- die Kriterien für wissenschaftliche Qualität.
Da du ja in einem Fachgebiet starten wirst, werden die dort herrschenden Erwartungen und Vorgaben voraussichtlich für die gesamte Forschungsarbeit gelten. Es gibt inzwischen aber auch erste und noch sehr wenige explizit auf interdisziplinäres Forschen ausgerichtete und dafür sogar ausgestattete Institute, die dann möglicherweise genau dafür ausgestaltete Vorgaben machen.
Recherchiere daher im Vorfeld parallel zur ersten Entwicklung deines Forschungsvorhabens nach Universitäten oder universitären Einrichtungen, bei denen dein interdisziplinärer Weg begrüßt und gefördert wird!
7. Vernetzung und wissenschaftliche Kommunikation
Suche dir frühzeitig ein Netzwerk von Menschen, die ebenfalls interdisziplinär arbeiten. Das können sein:
- andere Promovierende in interdisziplinären Graduiertenkollegs,
- Forschende in interdisziplinären Forschungszentren,
- Teilnehmende an fachübergreifenden Konferenzen.
Lerne dabei, wie du deine Forschung für verschiedene Zielgruppen
verständlich kommunizieren kannst. Du wirst dein Projekt sowohl Fachleuten aus
verschiedenen Disziplinen als auch einem breiteren Publikum erklären müssen, und zwar von Beginn an und nicht erst nach Fertigstellung!
8. Chancen der interdisziplinären Forschung
Es ist angesichts der erhöhten Aufwände eines interdisziplinären Vorhabens enorm wichtig, sich selbst immer wieder vor Augen zu halten, worin der Mehrwert für einen selbst bestehen wirst.
Trotz aller Herausforderungen bietet interdisziplinäre Forschung nämlich einzigartige Chancen:
- Du kannst neue Perspektiven zu bereits bekannten Problemen entwickeln.
- Du lernst verschiedene wissenschaftliche Kulturen kennen und verstehen.
- Du entwickelst eine besondere Form der wissenschaftlichen Kreativität.
- Du qualifizierst dich für Tätigkeiten, die Brückenbauer zwischen verschiedenen Fachgebieten erfordern.
Interdisziplinäre Promotionsprojekte sind anspruchsvoll, aber lohnend. Sie erfordern mehr Zeit, mehr Flexibilität und mehr Kommunikationsfähigkeit als rein disziplinäre Projekte. Dafür eröffnen sie die Chance, wirklich Neues zu schaffen und Grenzen zwischen Disziplinen zu überwinden. Und:
Du selbst lernst dabei einfach noch mal viel mehr als bei einem monodisziplinären Forschungsprojekt!
Nimm dir für die Planungsphase ausreichend Zeit und stelle sicher, dass du die nötige institutionelle Unterstützung hast.
Mit einem
gut durchdachten Plan und der richtigen Betreuungskonstellation kann dein interdisziplinäres Promotionsprojekt zu einer bereichernden wissenschaftlichen
Reise werden.
Beim Start in dein interdisziplinäres Forschungsabenteuer wünsche ich dir viel Erfolg!
